Der Kra-Kanal:
1000 Jahre geplant, nie gebaut

Der Kra-Kanal, auch Thai-Kanal genannt, bezeichnet eine geplante interozeanische Kanaltrasse durch die schmale Landenge von Kra im Norden der malaiischen Halbinsel (Südthailand), die den Seetransport zwischen Europa und Ostasien erheblich verkürzen würde. Die Überlegungen für einen solchen Seeschifffahrtskanal zwischen dem Indischen und Pazifischen Ozean sind keine neue Idee; sie beschäftigen die Menschheit schon seit über tausend Jahren.

Nach einer alten Überlieferung soll die alte südthailändische Stadt Chaiya erster Ausgangspunkt für eine Überquerung der Landenge gewesen sein. Chaiya war vor etwa 1000 Jahren ein Zentrum des Sri-Vijaya-Reiches, das weite Teile Südostasiens beherrschte. Es reichte in seiner Glanzzeit von Java bis zur Landenge von Kra. Die Überquerung sollte mit Hilfe von Flössen, Elefanten und Büffelkarren bewerkstelligt worden sein. Es waren dann indische Händler, die als erste Initiatoren für einen künstlichen Kanal durch die Landenge galten. Schon früh errechneten die Seehändler, dass ein interozeanischer Kanaldurchbruch einen Seeweg von etwa 1500 Kilometern einsparen würde. Man errechnete eine Kanalstrecke von maximal 40 Kilometern, wobei Höhen von 75 Meter zu überwinden wären. Die geplanten Vorhaben hinterließen keine Spuren.

Im Jahr 1677 beauftragte der siamesische König Narai der Große den französischen Ingenieur de Lamar mit einer Untersuchung des Isthmus von Kra. Man wollte feststellen, inwieweit der Bau eines Kanals als Verbindung zwischen dem Indischen Ozean und dem Golf von Thailand möglich wäre. Lamar stellte fest, dass der Bau eines Kanals mit den seinerzeitigen Mitteln undurchführbar sei. Erst die Kolonialmächte England und Frankreich sollten dann die Kanalpläne Mitte des 19. Jahrhundert wieder in die Diskussion bringen.

(Quelle: Wikimedia Commons)

Vormachtstellung der Kolonialmächte

Die Kontrolle der Handelswege in der Region Südostasien bestimmte auch die Macht in der Region. Aufgrund der verschiedenen Gebietsansprüche Englands und Frankreichs in den Kolonialgebieten Ostasiens kam es deswegen zum Zerwürfnis, da beide Mächte einen Kra-Kanal planten, unter der Kontrolle des Landes, das ihn baute; und nicht etwa unter der Kontrolle Siams. Als 1853 die Briten Burma unter ihrer Kontrolle gebracht hatten und Victoria Point, westlich von Kra Buri, als südlichsten Punkt in Besitz genommen hatten, war die britische Kontrolle eines möglichen Kanalausganges schon gegeben.

Im Jahr 1863 kam es zu einer von britischen Ingenieuren geführten Erkundungsexpedition. Die britischen Ingenieure beurteilten aber den geplanten Kanal eher negativ. Nicht die technische Möglichkeit, sondern die erheblichen Kosten und die Bauzeit wurden als Grund genannt, den Kanal nicht zu realisieren. Die Franzosen wollten die englische Macht durch einen von ihnen kontrollierten Kra-Kanal auf den Handelswegen brechen. 1868 führten sie eine Erkundungsexpedition an, wobei die französischen Ingenieure den Kanalbau positiver beurteilten, als zuvor die Engländer. Es dauerte noch einige Jahre, bis die Franzosen wieder aktiv wurden.

Auch der Erbauer des Suezkanals, Ferdinand de Lesseps, stufte 1881 nach einer Untersuchungsexpedition in Siam den Kra-Kanal als machbar ein. Ein Kanaldurchstich gelang ihm hier nicht, da ihm aus politischen Gründen eine Kanalkonzession vom siamesischen König verwehrt wurde. (Quelle: Universität Paris)

Im Jahre 1881 wurde der Erbauer des Suezkanals, Ferdinand de Lesseps, vor Ort eingeladen, um sich ein Bild machen zu können. Wiederum wurde eine Expedition durchgeführt, Pläne und Untersuchungsergebnisse zum Kra-Kanal wurden zusammengestellt, der Kanal aber als durchführbar eingestuft. Lesseps bat anschließend den siamesischen König um eine Konzession für den Kra-Kanal.

England war gegenüber den Kra-Kanal-Plänen der Franzosen misstrauisch, da anscheinend viele kapitalkräftige französische und ausländische Geldgeber an einem solchen Projekt interessiert waren. Die Engländer befürchteten natürlich zu Recht einen erheblichen Rückgang ihrer Handelstätigkeit in Singapur. England verlangte daher vom siamesischen König Chula-longkorn dem Großen (1853-1910), ohne britische Zustimmung keiner ausländischen Macht eine Konzession für den Kanalbau zu geben. Der siamesische Königshof war natürlich wenig begeistert, Spielball der Kolonialmächte England und Frankreich geworden zu sein, die immer mehr versuchten, die Unabhängigkeit des Königreiches zu untergraben. König Chula-longkorn hatte aber ein gutes diplomatisches Fingerspitzengefühl und gab Ferdinand de Lesseps nicht die Erlaubnis, den Kanalplänen näher zu treten.


Coup der Franzosen

Die Franzosen gaben allerdings nicht auf. Eine Pariser Finanzgruppe unter Führung des Barons Jacques de Reinach versuchte im Frühjahr 1885 in London die Zustimmung der englischen Regierung zum Bau eines Kanals in Siam zu erwirken. In den Verhandlungen bekräftigten die Engländer ihren Standpunkt, dass sie in der Frage der Kanalkonzession nur eine englische Gesellschaft unterstützen würden. Die Franzosen gingen geschickt auf das Veto der britischen Regierung ein und schlugen vor, ihre Vorarbeiten samt aller Untersuchungsergebnisse aus ihrer Expedition von 1882 auf eine neu zu gründende, englische Konzessionsgesellschaft zu übertragen.

Aktienzertifikat ausgestellt auf Herrn Leon Gauchez, 41, Rue Lafitte, Paris über 100 voll ein-gezahlte Anteile des Syndikats „The Malay Peninsular Exploration Syndicate, Limited.“, ausgegeben in London am 20. März 1890. Das Kapital des im Dezember 1889 gegründeten Syndikats war gestückelt in 13.000 Anteile über je 1 £. Es wurden 1890 rund 280 Aktienzertifikate, meist über 50 oder 100 Anteile, ausgegeben. Das englische, französisch beherrschte Syndikat bemühte sich 1893 erfolglos um eine Konzession zum Bau des Kra-Kanals in Siam. Ein französischer Antiquar fand 2012 etwa 15 dieser geschichtsträchtigen Aktienzertifikate in einem Nachlass.
(Quelle: Sammlung HGG)

Daraufhin wurde von englischer Seite im August 1886 in London zur Erlangung einer Konzession für den Kra-Kanal das Syndikat "The Malay Peninsular Exploration Syndicate, Limited." gegründet. Das Kapital des Syndikats in Höhe von 35.100 Pfund Sterling (60 Aktien A zu 500 Pfund Sterling, 150 Aktien B zu 33,33 Pfund Sterling und 100 Aktien C zu 1 Pfund Sterling) wurde nach Druck durch das englische Foreign Office überwiegend von englischen Brokern und Bankern gezeichnet; die französische Seite erhielt nur einen Minderheitsanteil als Entschädigung der von ihnen eingebrachten Forschungsunterlagen. Man ging gemeinhin davon aus, dass es dem Syndikat gelingen würde, eine Kanalkonzession zu erlangen. Als aber nichts passierte, wurde die Liquidation der Syndikatsgesellschaft eingeleitet. Auf der Generalversammlung der Liquidatoren 1891 wurde das notleidende (alte) Syndikat in ein neues, bereits im November 1889 gegründetes Auffangsyndikat gleichen Namens unter französischer Führung überführt.

The Malay Peninsular Exploration Syndicate

Das "neue" gleichnamige Syndikat "The Malay Peninsular Exploration Syndicate, Limited." gab am 20. März 1890 in London neue Anteilscheine aus. Das Kapital des neuen Syndikats war gestückelt in 13.000 Anteile über je 1 Pfund Sterling. Es wurden rund 280 Aktienzertifikate überwiegend von französischen Bürgen gezeichnet, meist über 50 oder 100 Anteile. Zusätzlich genehmigte das neue Syndikat 1890 ein Obligationenkapital in Höhe von 34.000 Pfund Sterling, eingeteilt in 340 auf den Namen ausgestellte Bonds über je 100 Pfund Sterling. Mit dem Erlös dieser Bonds erwarb das "neue" Syndikat den ideellen Wert und das Vermögen des "alten" Syndikats von 1886. Obligationäre waren fast ausschließlich Franzosen.

Es sollte nicht überraschen, dass das neue, nun französisch beherrschte Syndikat - sofort nach Abschluss der Liquidation - 1893 einen Coup versuchte und beim siamesischen König um eine Kanalkonzession nachfragte. Die englische Regierung war aufgeschreckt und debattierte das Kra-Kanal-Projekt sogar im Parlament. Der britische Botschafter in Paris verdeutlichte danach der französischen Regierung diplomatisch, was England unter britischem Einfluss in Südostasien versteht und das ein Kra-Kanal den britischen Interessen nicht förderlich sei.


Zinslose Obligation ausgestellt auf Herrn Augustus Crété, 24, Rue de Dunkerque, Paris über einen Bond von 100 £ des Syndikats „The Malay Peninsular Exploration Syndicate, Limited.“, ausgegeben in London am 20. März 1890. Das Obligationenkapital in Höhe von 34.000 £ des im Dezember 1889 gegründeten Syndikats war gestückelt in 340 Bonds über je 100 £. Mit dem Erlös dieser Bonds erwarb das Syndikat den ideellen Wert und das Vermögen eines gleichnamigen, 1886 gegründeten, englisch beherrschten Syndikats, das eine Konzession für den Kra-Kanal in Siam erwerben sollte. Ein französischer Antiquar fand 2012 etwa 60 dieser geschichtsträchtigen Bonds in einem Nachlass. (Quelle: Sammlung HGG)

Der siamesische König lehnte eine Konzessionsvergabe an das französisch dominierte Syndikat ab. Das neue Syndikat gab endgültig auf und wurde später liquidiert. Geblieben sind der Nachwelt einige wenige Aktienzertifikate und Bonds des 1889 gegründeten Syndikats -einzigartige Dokumente des Kra-Kanals.

Im Jahr 1897 kam es abschließend zu Verhandlungen zwischen Siam und England. Es wurde ein Vertrag ausgehandelt, dass Siam, bei Wahrung seiner Interessen auf der Halbinsel, selber keinen solchen Kanal bauen oder bauen lassen soll. Der starke politische Druck Englands wegen seiner Interessen in Singapur als Haupthafen der ganzen Region wurde sehr deutlich.

Der Kra-Kanal: heute

Fakt ist, dass der Kra-Kanal für Thailand ökonomische Vorteile bringen würde. Ebenso für die globale Schifffahrt und für die Region. Technisch gesehen ist der Kanal heute keine Herausforderung mehr. Dafür umso mehr politisch, denn der Kanal steht in direkter Konkurrenz zu Singapur. Er würde die Fahrt um Singapur unnötig machen. Wegen der immensen Kosten und zu erwartender Umweltprobleme ist es bislang bei Plänen geblieben, diesen Kanal zu bauen. In neuerer Zeit werden in Thailand hin und wieder Debatten zu diesem Thema abgehalten, ohne dass mit einer Entscheidung für den Kanalbau zu rechnen wäre.

Zuletzt gab es am 16. Oktober 2002 sogar einen thailändischen Nationalausschuss, um das legendäre Kanalprojekt wieder zu beleben. Noch gibt es von der thailändischen Regierung keine offizielle Ausschreibung über einen Kra-Kanal. Sollte dieser Kanal dennoch einmal gebaut werden, würde er sowohl geostrategisch, handelspolitisch als auch finanziell, wie schon der Suezkanal und der Panamakanal zuvor, eine sehr bedeutende Rolle in Asien einnehmen.



Quellenhinweise:

  • Brötel, Dieter, Frankreich im Fernen Osten – Imperialistische Expansion und Aspiration in Siam und Malaya, Laos und China, 1880-1904, Stuttgart, 1996

  • Kiernan, V. G., The Kra Canal projects of 1882-5: Anglo-French Rivalry in Siam and Malaya, History Volume 41, Bloomington (Indiana), 1956

  • Ngui Yew Kit, Clarence, Kra Canal (1824-1910): The Elusive Dream, Akademika, 2012

  • Wikipedia … Thai Canal·